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15.06.2011

Pflegende Angehörige brauchen mehr Entlastung: Studie zur Situation von pflegenden Angehörigen und Spitex in der lateinischen Schweiz

Angehörige investieren in der Romandie und im Tessin viel mehr Zeit in die Pflege von Familienmitgliedern, als sie eigentlich möchten. Für eine Auszeit und im Notfall fehlt aber meistens Ersatz. Dies zeigt das Forschungsprojekt AgeCare-SuisseLatine, das der Spitex Verband Schweiz in Auftrag gegeben hatte. Zusammen mit der letzten Herbst veröffentlichten Studie für die Deutschschweiz (SwissAgeCare-2010) liegen nun für die ganze Schweiz aussagekräftige Daten über die Situation pflegender Angehöriger vor. Fazit: In allen Sprachregionen besteht grosser Bedarf für eine gezielte Unterstützung und Entlastung der pflegenden Angehörigen.

Verwandte, Freunde und Nachbarn spielen eine zentrale Rolle bei der Betreuung von pflegebedürftigen Menschen daheim. Die Rahmenbedingungen dieser Betreuung sind aber kaum bekannt. Der Spitex Verband Schweiz hat deshalb ein Forschungsprojekt in Auftrag gegeben. Die Studienergebnisse aus der Deutschschweiz (SwissAgeCare-2010) konnten letzten September veröffentlicht werden. Nun liegen auch die Resultate aus der Romandie und dem Tessin (AgeCare-SuisseLatine) vor. Das Forschungsteam der Universitäten Bern (Prof. Pasqualina Perrig-Chiello, Dr. Sara Hutchison) und Zürich (Prof. François Höpflinger) untersuchte die Motivation, Probleme, Ressourcen und Wünsche von Angehörigen, die ältere Menschen zuhause pflegen, sowie von Spitex-Fachleuten. Die Forschenden verglichen zudem die Resultate zwischen den Sprachregionen.

Wünsche und Kritikpunkte
Eines vorweg: Die pflegenden Angehörigen sind im Allgemeinen mit der Spitex sehr zufrieden. Wichtig sind ihnen insbesondere die Verfügbarkeit der Spitex zur rechten Zeit, sowie Würde und Respekt im Umgang mit den Pflegebedürftigen. Kritikpunkte sind häufiger Personalwechsel und fehlende Zeit. Die pflegebedürftigen Menschen, die daheim von der Spitex betreut werden, sind im Schnitt 83-jährig und 60 Prozent sind Frauen. Rund die Hälfte der betreuten Menschen ist stark pflegebedürftig. Die Spitex hilft vor allem bei der Körperpflege und bei der Behandlungspflege.

Hauptsächlich Frauensache
Die Pflege von Angehörigen ist in der lateinischen Schweiz noch ausgeprägter Frauensache als in der Deutschschweiz: Nur ein Viertel der pflegenden Angehörigen in der Romandie sind männlich, im Tessin sind es sogar nur ein Sechstel – in der Deutschschweiz sind immerhin ein Drittel Männer. Hauptmotiv für die Betreuung sind vor allem Liebe und Zuneigung; aber auch der Mangel an Alternativen und finanzielle Überlegungen spielen eine Rolle. Die pflegenden Angehörigen investieren nach eigenen Angaben in die Betreuung wöchentlich zwischen 99 Stunden (Partner und Partnerinnen) und 61 Stunden (Söhne und Töchter). Die entsprechenden Angaben aus der Deutschschweiz sind generell viel tiefer (Partner und Partnerinnen: 60 Stunden, Söhne und Töchter: 27 Stunden). Ein möglicher Grund für die grossen Unterscheide könnte laut der Studie der höhere Anteil von demenzkranken Menschen sein, die in der lateinischen Schweiz zu Hause betreut werden. Ein weiterer Grund könnte sein, dass deutlich mehr pflegende Angehörige in der Romandie und im Tessin im gleichen Haushalt mit der gepflegten Person leben als in der Deutschschweiz. Alle Sprachregionen haben jedoch eines gemeinsam: Die Angehörigen investieren viel mehr Zeit in die Pflege, als sie eigentlich möchten.

Dringend Entlastungsmöglichkeiten benötigt
Die zeitintensive Pflegesituation wirkt sich auf die Gesundheit der Angehörigen aus. Insbesondere bei pflegenden Töchter und Söhnen ist die subjektive Gesundheit deutlich schlechter als bei der Durchschnittsbevölkerung. Auch gehen pflegende Angehörige häufiger zum Arzt und konsumieren häufiger Medikamente.Nach Einschätzung der Spitex-Mitarbeitenden hätten rund zwei Drittel der pflegenden Partnerinnen und Partner dringend eine Auszeit nötig. Doch meist fehlt der Ersatz. Fast die Hälfte der pflegenden Partnerinnen und Partner geben an, dass Entlastungsmöglichkeiten selbst in akuten Situationen schwierig zu finden seien. Dringend benötigt wären flexible Entlastungsmöglichkeiten wie Tagesbetreuung, Übergangspflege, Nacht- und Ferienbetten. Die Studie zeigt auch die mögliche Entwicklung im Pflegebereich auf. Aufgrund der Bevölkerungsentwicklung wird insgesamt mit einem wachsenden Bedarf an stationärer und ambulanter Pflege gerechnet. Gleichzeitig dürften der medizinisch-technische Fortschritt, die steigenden Spitalkosten und der erhöhte Spardruck die Verlagerung vom stationären in den ambulanten Bereich verstärken, die Pflegeaufgaben für die Spitex noch anspruchsvoller werden. Parallel dazu werden die Nachfrage nach Entlastungsmöglichkeiten für pflegende Angehörige steigen und das Bedürfnis nach Information und Koordination zunehmen. Im komplexen Mix zwischen Pflege und dem Wohl der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen spielt die Spitex eine zentrale Rolle.

Handlungsfelder für Spitex
Die Studie listet eine ganze Reihe Handlungsfelder für die Spitex auf. Die Spitex-Organisationen könnten ihr Angebot flexibilisieren und Richtung Fallmanagement ausweiten, d.h. vermehrt Informations-, Vermittlungs- und Koordinationsaufgaben zwischen allen Beteiligten übernehmen und pflegerisch-betreutes Wohnen und flexible Entlastungsmöglichkeiten anbieten oder vermitteln. Da eine optimale Pflegesituation nach professionellem Fachwissen verlangt, sind neben einer soliden Grundausbildung in der Pflege Weiterbildung und Schulung für Spitex-Mitarbeitende gefragt, beispielsweise im gerontologischen Grundwissen, über den Umgang mit Konfliktsituationen, über Entlastungs- und Hilfsangebote oder über rechtliche, versicherungstechnische und finanzielle Belange. Der Spitex Verband Schweiz wird nun die Forschungsergebnisse analysieren und mit seinen Mitgliedern eine Strategie entwickeln. Ziel ist es, dass letztlich die lokalen Spitex-Organisationen ihre Dienstleistungen noch gezielter auf die Bedürfnisse und Ansprüche der pflegebedürftigen Menschen und ihrer Angehörigen abstimmen können.

Der Studienbericht und das Executive Summary sind verfügbar unter www.spitex.ch/studien

(Quelle: SVS, 6. Juni 2011)
 

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